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Scherdel und Lamilux: Zwischen Schraubstock und Sozialkompetenz

Scherdel und Lamilux: Zwischen Schraubstock und Sozialkompetenz

Text und Bild von Christopher Michael / Frankenpost

In Zeiten von Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel braucht es neue Ansätze, junge Menschen für das eigene Unternehmen zu begeistern. SCHERDEL und LAMILUX setzen auf innovative Konzepte zur Aus- und Weiterbildung und die Arbeit am Charakter ihrer jungen Auszubildenden.

Lehrwerkstatt der Scherdel GmbH

Nico Schödel steht an einem Versuchsaufbau in der Lehrwerkstatt des Rehauer LAMILUX-Werks und misst mit einem Multimeter die Ströme zwischen zwei Bauteilen. Derzeit dreht sich bei dem jungen Auszubildenden zum Elektroniker für Betriebstechnik viel darum, auf die bevorstehenden Abschlussprüfungen hinzuarbeiten. Doch in seinem ersten und zweiten Lehrjahr tauschte der Azubi einmal pro Woche für einige Stunden Werkzeug und Arbeitskleidung gegen Taschenrechner, Beamer und seine eigene Kleidung ein und gab Grundschülern Nachhilfe in Mathematik oder organisierte Kinoveranstaltungen für Kinder und Jugendliche. Seine Azubi Kollegin Jennifer Wunderlich gab derweil Deutschkurse für Asylbewerber. „Education for Excellence“ heißt das Ausbildungskonzept von LAMILUX. Seit 2010 durchlaufen die Auszubildenden des Unternehmens das Programm, das neben der fachlichen Bildung vor allem auf die soziale Entwicklung der jungen Leute setzt.

Im ersten Lehrjahr warten spezielle Projekte auf die Auszubildenden, wie Ausbildungsleiterin Linda Hohenberger sagt: etwa, wenn Teams als PC-Paten in den Rehauer Schulen Kindern erste Computerkenntnisse beibringen oder den firmeneigenen Mitarbeitershop auf Vordermann bringen und eigenständig betreuen. „Inklusive Planung, Kalkulation und Vorstellung vor der Geschäftsführung“, sagt Jennifer Wunderlich, die im dritten Lehrjahr ist. Da sei sie oft schon stark gefordert worden. „Doch ich habe gelernt, mit anderen Azubis zusammenzuarbeiten. Das stärkt die Teamfähigkeit.“

Ein Aspekt, auf den auch der Marktredwitzer Federnspezialist SCHERDEL mit seinem Aus- und Trainingszentrum – kurz Schatz – setzt. Personalleiterin Dagmar Zauner erhofft sich dadurch eine Aufwertung der beruflichen Bildung. „Wir haben in Deutschland das Problem, dass jeder nach einer höheren schulischen Qualifikation strebt und Facharbeiterplätze als eher unattraktiv gesehen werden”, kritisiert sie. „Um dem entgegenzuwirken, müssen wir die Arbeitsplätze kreativ gestalten und uns der jungen Leute in unserem Betrieb annehmen.” Schatz soll dafür ein Baustein sein.

Zwei dieser jungen Leute sind Jennifer Kress und Constantin Kispert, die beide eine Ausbildung zum Industriemechaniker absolvieren. Wenn das Zentrum in Marktredwitz fertig ist, sollen hier alle Azubis aus dem Großraum Marktredwitz zusammenkommen, um betriebliche Fertigkeiten zu lernen und Trainings zur Persönlichkeitsentwicklung zu durchlaufen.

Kispert ist ehrenamtlich bei der Mitterteicher Feuerwehr tätig, hat dort schon viel über Kameradschaft und Teamarbeit gelernt und wurde dafür sogar schon mit dem Dr.-Kapp-Vorbildpreis ausgezeichnet, der von den bayerischen Metall- und Elektroarbeitgebern ausgelobt wird. „Da ist man als Arbeitgeber natürlich schon sehr stolz”, sagt SCHERDEL-Ausbildungsleiter Stefan Stegner.

Stolz kann auch LAMILUX auf das Erreichte sein. Für sein Ausbildungskonzept erhielt das Unternehmen den IHK-Bildungspreis. Jennifer Wunderlich ist im dritten Lehrjahr – in dem liegt der Fokus auf der Prüfungsvorbereitung. „Mir fehlen die Projekte schon”, sagt sie im Rückblick. „Man ist im Unternehmen damit ja schließlich groß geworden.” Und ihr Azubi-Kollege Nico Schödel ergänzt: „Wir sind alle an den Projekten und Aufgaben gewachsen.”

Frau Hohenberger, Herr Stegner, LAMILUX und SCHERDEL haben innovative Ausbildungskonzepte ins Leben gerufen oder stehen kurz davor. Wie wichtig ist es für Unternehmen, in Zeiten einer sich verändernden Arbeitswelt neue Wege in der Ausbildung zu gehen?

Hohenberger: In einem Unternehmen ist man immer darauf bedacht, dass man nicht nur Facharbeiter beschäftigt, sondern Persönlichkeiten. Wenn es dann auch noch solche sind, die sich mit dem eigenen Betrieb bewusst auseinandersetzen, die Dinge sehen, ansprechen und verbessern, ist das perfekt. Dafür sind innovative Ausbildungskonzepte enorm wichtig. Besonders solche, die Sozial- und Selbstkompetenzen oder eben die Persönlichkeitsentwicklung im Fokus haben.

Stegner: Es geht heutzutage nicht mehr nur darum, die jungen Leute auf den Beruf vorzubereiten und fachlich auszubilden. Im Idealfall bietet ein Unternehmen eine kontinuierliche Weiterbildung der Persönlichkeiten an, vom ersten Tag der Ausbildung bis zum Eintritt in die Rente.

Ziel muss sein, für die Auszubildenden neben der normalen betrieblichen Ausbildung und der Berufsschule eine dritte Säule aufzubauen, die die persönliche Entwicklung zum Ziel hat.

Linda Hohenberger, Ausbildungsleiterin Lamilux

Wie erreichen Sie das in Ihren Unternehmen?

Stegner: Wir haben im Oktober 2018 den Grundstein für unser SCHERDEL Ausbildungs- und Trainingszentrum – kurz Schatz – gelegt. Im Raum Marktredwitz haben wir jedes Jahr um die 40 Azubis, die neu anfangen. Mit Schatz wollen wir die Ausbildung nun zentralisieren. Das hat auch einen Netzwerk-Charakter. Die jungen Azubis haben sich sonst ja meist nur in der Berufsschule getroffen. Nun geben wir ihnen die Möglichkeit, sich öfter auszutauschen, zusammenzuwachsen und hoffentlich miteinander im Betrieb aufzuwachsen und erwachsen zu werden.

Hohenberger: Ziel muss sein, für die Auszubildenden neben der normalen betrieblichen Ausbildung und der Berufsschule eine dritte Säule aufzubauen, die die persönliche Entwicklung zum Ziel hat.

Und wenn die Azubis ausgelernt haben?

Stegner: Innerhalb der ersten vier Jahre nach dem Abschluss der Ausbildung stehen nach unserer Erfahrung die größten Veränderungen im Leben der jungen Leute an: die erste eigene Wohnung, vielleicht die erste große Liebe. Gerade in dieser Zeit müssen wir den Kontakt besonders hoch halten und die Qualifizierung der jungen Erwachsenen weitertreiben.

Soll Schatz auch dabei helfen?

Stegner: Ja. Mit der Ausbildung sind unsere Arbeiter und Angestellten auf einem guten Stand, mit dem sie ins weitere Arbeitsleben starten können. Wir wollen aber weitergehen. Darum wollen wir von diesem Jahr an ein Programm starten, dass nach der Abschlussprüfung vier weitere Jahre umfasst, in denen die jungen Erwachsenen acht Module absolvieren. In denen sollen sie sowohl SCHERDEL-spezifisches Fachwissen erwerben als auch darüber hinausgehende Soft Skills.

Frau Hohenberger, mit dem Ausbildungskonzept Education for Excellence verfolgt LAMILUX einen etwas anderen Ansatz, junge Menschen nicht nur auszubilden, sondern auch im Charakter zu formen.

Hohenberger: Und das mit Erfolg. Wenn die jungen Auszubildenden am 1. September zu uns kommen, sind sie manchmal noch etwas schüchtern und ruhig. Gegen Ende des zweiten Lehrjahres merkt man dann schon, dass sie deutlich selbstbewusster und kommunikativer sind. Das liegt eben unter anderem an Education for Excellence.

Wie funktioniert Education for Excellence?

Hohenberger: Im ersten Ausbildungsjahr überträgt LAMILUX den Azubis ein Projekt, für das sie selbst verantwortlich sind. Das kann die Betreuung des Mitarbeitershops sein, die Organisation von regelmäßigen Filmvorführungen für Kinder oder Senioren in Rehau oder die Betreuung eines eigenen Blogs – der Fokus liegt darauf, dass die Azubis ihre Organisationskompetenz stärken. Im zweiten Lehrjahr stellen wir die jungen Leute dann wöchentlich eine Stunde während der Arbeitszeit frei, damit sie sich bei unseren externen Projektpartnern wie beispielsweise dem Mehrgenerationenhaus in Rehau oder den Schulen der Stadt engagieren können.

Wie schlagen sich die jungen Leute?

Hohenberger: Gut, bei den Projekten sollen sie sich bewusst ausprobieren, aber auch im Anschluss Selbstreflexion üben. Die Azubis haben immerhin die alleinige Verantwortung für das Gelingen der Projekte. Das ist durchaus schon als Vorbereitung auf das spätere Geschäftsleben zu sehen.

Wie ist die Resonanz?

Hohenberger: Die ist durchgehend positiv. Wir evaluieren Education for Excellence ja auch ständig mithilfe externer Projektpartner und einer Diplom-Pädagogin, die Reflexionsgespräche mit den Azubis führt.

Wie beurteilen die Azubis Education for Excellence?

Stegner: Generell ist ehrenamtliches Engagement neben der Arbeit unheimlich wichtig für die persönliche Entwicklung der Auszubildenden. Unsere Auszubildenden wurden dafür auch schon mit dem Dr.-Kapp-Vorbildpreis ausgezeichnet. Zusätzlich wollen wir ihnen im Betrieb aber auch wichtige Dinge fürs Leben an die Hand geben.

Hohenberger (lacht): Die vermissen mitunter ihre Projekte im dritten Lehrjahr, wenn es dann vor allem an die Vorbereitung für die Abschlussprüfungen geht. Ich weiß von vielen unserer Auszubildenden, dass sie mit ihren Schützlingen, mit denen sie etwa gemeinsam Mathe gelernt haben, weiterhin Kontakt halten. Und immer wieder hören wir von unseren Projektpartnern, dass die Azubis mit den Senioren, mit denen sie etwas unternommen haben, Freundschaften geknüpft haben und sie auch weiter besuchen.

Zum Beispiel?

Stegner: Wir machen mit allen Auszubildenden etwa regelmäßige Knigge-Schulungen. Dort gibt es dann unter anderem auch Handreichungen, wie sie mit bestimmten Situationen umgehen können oder wie man sich am besten präsentiert.

Wo liegt bei LAMILUX der Schwerpunkt?

Hohenberger: Auf den Sozialkompetenzen. Weil wir immer mehr Mitarbeiter aus dem Ausland beschäftigen und unsere internationalen Standorte erweitert haben, bietet es sich für die Zukunft wohl an, auch interkulturelle Kompetenzen fest mit aufzunehmen.

Stegner: Übrigens ein Punkt, auf den wir mit Schatz auch verstärkt setzen möchten. Wir wollen dort nicht nur eine zentrale Ausbildung für unsere Azubis aus der Region anbieten, sondern auch unsere Mitarbeiter aus dem Ausland immer wieder nach Marktredwitz holen, sie hier schulen und weiterbilden. Da kommt es zwangsläufig zum Austausch mit unseren Auszubildenden. Und einen anderen Hintergedanken haben wir natürlich auch…

Welchen?

Stegner: Wir möchten die Auszubildenden dafür begeistern, selbst auch einmal den Schritt ins Ausland zu wagen.

Generell ist ehrenamtliches Engagement neben der Arbeit unheimlich wichtig für die persönliche Entwicklung der Auszubildenden.

Stefan Stegner, Ausbildungsleiter SCHERDEL

Neben der Globalisierung ist die weltweite vierte industrielle Revolution – die Industrie 4.0 – in aller Munde. Wie kann man junge Menschen, die kurz vor dem Eintritt ins Berufsleben stehen, da an die Hand nehmen?

Stegner: Es braucht zwei Dinge: Zum einen müssen wir überhaupt einmal das Interesse für mathematische, naturwissenschaftliche und technische Themen sowie IT – kurz, die MINT-Themen – wecken. Und zum zweiten braucht es auch die entsprechenden Personen dafür. Unser Ziel ist, Angebote von der Jugend für die Jugend zu machen.

Wie sprechen Sie junge Leute dann konkret an? Wie interessieren Sie sie für MINT-Berufe?

Stegner: Wir gehen dafür den Weg über die Schulen. Scherdel ist in mehreren MINT-Initiativen in der Region aktiv. Wir laden zum Beispiel zum MINT-Tag Schüler des Marktredwitzer Otto-Hahn-Gymnasiums ein, die sich unter Anleitung von Studenten mit Robotik beschäftigen. Leider ist es so, dass viele Schüler und teilweise auch Lehrer gar nicht wissen, was man mit einem gewissen Hang zur Technik in einem Betrieb alles machen kann.

Hohenberger: Auch wir nutzen den Kontakt zu den Schulen und schätzen die Zusammenarbeit. Eine Arbeitsgruppe unseres Ausbildungsprogramms hat das Projekt Robokids ins Leben gerufen. Robokids wird derzeit in Zusammenarbeit mit der Realschule Rehau pilotiert. Kinder können dort spielerisch lernen, was es mit Programmierung und Robotik auf sich hat. Das ist eine Win-win-Situation. Für uns und für die Schüler. Zum einen bekommen unsere Auszubildenden einen anderen Einblick in technische Themen, zum anderen sinkt bei den Kindern und Jugendlichen die Hemmschwelle für MINT-Fächer und das Verständnis für die Zusammenhänge und die Hintergründe von technischen Anwendungen wird gestärkt.

Generell ist ehrenamtliches Engagement neben der Arbeit unheimlich wichtig für die persönliche Entwicklung der Auszubildenden.

Stefan Stegner, Ausbildungsleiter SCHERDEL

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