Ein Text von Götz Gemeinhardt Fotos von Cfm Oskar Tropitzsch GmbH:
Steffen Tropitzsch, geboren 1979, führt die Cfm Oskar Tropitzsch GmbH gemeinsam mit seinem Vater Oskar Tropitzsch, dem Enkel des Oskar Tropitzsch, der 1891 zusammen mit seinem Bruder die Chemische Fabrik W.C. Fikentscher von der Familie Fikentscher gekauft hat.
Zwei Familien, sieben Generationen. Von der Alchemie zu den Life Sciences: 2018 hat die Cfm Oskar Tropitzsch GmbH einen modernen Neubau am Stadtrand von Marktredwitz bezogen – 230 Jahre nach Gründung der Chemischen Fabrik W.C. Fikentscher 1788.
Ab 1907 stellte die Chemische Fabrik Marktredwitz das quecksilberhaltige Beizmittel Fusariol her, das zum fungiziden Pflanzenschutz eingesetzt wurde.
Es gibt Unternehmen, bei denen weiß man gar nicht, was spannender ist – ihre Historie oder ihre Gegenwart. 1985 geht die Geschichte der Chemischen Fabrik Marktredwitz AG zu Ende. Was in den knapp 200 Jahren davor und was seitdem passiert ist, ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert.
1770 wird Wolfgang Caspar Fikentscher in Redwitz (heute Marktredwitz) geboren. 1788 schließt er in Nürnberg die Lehre zum Apothekergehilfen ab und richtet in seinem Elternhaus ein Labor ein. Es ist die Zeit der Alchemie, einer Probierkunst, aus der sich später naturwissenschaftliche Disziplinen entwickeln. Alchemisten hantieren mit Quecksilber und Schwefel, versuchen, unedle Metalle in Gold zu verwandeln. Mit nur 18 Jahren und mithilfe eines Darlehens seines Vaters gründet Fikentscher die Chemische Fabrik Marktredwitz, die erste industrielle Produktionsstätte für Chemikalien in Deutschland – anfangs eine Art Garagen-Start-up. In der Umgebung haben sich bereits Textil- und Glasindustrie entwickelt, die von Fikentscher mit Chemikalien (Schwefelsäure, Salzsäure, Glaubersalz, Chlorkalk, Salpetersäure, Alaun, Weinsteinsäure, Zinnober) beliefert werden; auch Apotheken sind Kunden. Von Beginn an agiert er international, denn Redwitz gehört als Exklave des Egerlands zum österreichischen Kronland Böhmen. Geschäfte mit Bayern sind Exportdeals. Die Chemische Fabrik ist ein früher Global Player, der zum Beispiel Substanzen aus Peru beschafft. Zur Zahlungsabwicklung wird Geld an den Vatikan geschickt, irgendwann legt ein Schiff mit der Sendung in Hamburg an, mit dem Pferdefuhrwerk geht die Reise weiter bis Redwitz. 1822 besucht Johann Wolfgang von Goethe die Chemische Fabrik W.C. Fikentscher und führt Versuche zu seiner Farbenlehre durch.
Nach drei Fikentscher-Generationen kaufen 1891 die Brüder Oskar und Curt Tropitzsch die Fabrik; sie investieren und modernisieren die Anlagen und das Produktsortiment. „Man hat durchgekehrt, weil man das Potenzial erkannt hat“, sagt Steffen Tropitzsch, der Oskar IV. geworden wäre, hätte sein Vater nicht mit dieser Namenstradition gebrochen. Zwischen den Tropitzschs herrscht über Generationen
Arbeitsteilung: In der Oskar-Linie sind die Kaufmänner, im Rolf-Zweig die Chemiker. „Die Chemische Fabrik hatte schon immer mit Quecksilber zu tun, und irgendwann hat man herausgefunden, dass sich Quecksilberverbindungen für den Pflanzenschutz eignen.“ Ab 1907 stellt die Chemische Fabrik Fusariol her, ein Fungizid, das Pilzsporen abtötet oder ihr Wachstum hemmt. Wegen Pilzbefalls hatten Bauern bis dahin ihr Getreide oft nicht durch den Winter gebracht. Fusariol, weltweit die erste Saatbeize, ist preiswert, einfach anzuwenden und bildet keine Resistenzen.
Quecksilber macht die Chemische Fabrik Marktredwitz groß und Quecksilber wird ihr zum Verhängnis. Denn der Ruf von Quecksilber leidet, Gesundheitsrisiken rücken in den Fokus. „Hydrargyrum ist ein chemisches Element und damit hat es in unserer Natur einen Sinn. Ob es von uns Menschen immer richtig eingesetzt wird, ist eine andere Frage; wir setzen viele Elemente zweifelhaft ein.“ Steffen Tropitzschs Vater (Oskar III.), 1974 zum Vorstandsvorsitzenden berufen, hinterfragt Produkte und Abläufe, analysiert den Markt und baut Handelsstrukturen auf. Und er befasst sich mit Umweltthemen. „Die Chemische war zu dem Zeitpunkt unter verschiedenen Aspekten sehr modern. Sie hat ihre Abluft gefiltert und eine Kläranlage installiert. Bei deren Anschluss an das öffentliche System ist eine von drei Abwasserröhren gebrochen.“ Der Schaden wird erst später, bei Tests, die die Betreiber der Fabrik durchführen, bemerkt, und behoben – jedoch zu spät, um den Umweltskandal aufzuhalten, dessen Folgen 1985 zur Insolvenz führen. Die Behörden ordnen die Einstellung der Produktion an. Steffen Tropitzsch klammert dieses Kapitel der Historie nicht aus. Er bemüht sich um Sachlichkeit und um den Kontext: „Man muss den Fall zeitlich einordnen: Bei der Gründung 1788 gab es keine Umweltstandards.
Uns gibt’s schon 230 Jahre. Wir haben einen Ruf zu verlieren.
Wenn man 200 Jahre mit toxischen Substanzen arbeitet, findet sich was im Boden. Das war auch in Marktredwitz so. Eine Behörde hat den Materialaustritt festgestellt, aber die Unternehmensleitung nicht informiert. Das ganze Thema ist gerichtlich aufgearbeitet und sauber abgeschlossen. Es lag kein Vorsatz vor. Ich weiß aber nicht, ob ich an der Stelle meines Vaters in Marktredwitz geblieben wäre, oder woanders weitergemacht hätte.“ Geschichte wiederholt sich. 1985 fängt Oskar Tropitzsch als Garagenfirma neu an. Der eingetragene Kaufmann startet ein Handelsunternehmen. „Als die Garage umgebaut wurde, stand der Fernschreiber auf einem Brett über unserer Badewanne; zum Tippen hat man sich auf die Toilette gesetzt.“ Tropitzsch bleibt, was die Chemische Fabrik immer war – ein Speziallieferant. Er pflegt intensive Kontakte zu Forschung, Pharmazie, Agrochemie, Biotechnologie, und baut sein Netzwerk aus, sodass er seine Kunden auch mit sehr seltenen Substanzen beliefern kann. „Wennst was nicht findest, gehst zum Oskar, gehst zum Tropitzsch, gehst zur Cfm. Diesen Ruf hatten wir schon in den Achtziger Jahren und wir haben ihn uns bis heute erhalten“, sagt Steffen Tropitzsch.
Ich habe BWL studiert, mit den Schwerpunkten Controlling, Logistik und Wirtschaftsinformatik. Es war egal, ob ich Tassen, Kaffee oder Chemikalien hin und her schippere, es wäre immer um Zahlen gegangen.
„Wo die Einkaufsabteilungen großer Konzerne aufhören, fangen wir erst an.“ Cfm Oskar Tropitzsch sucht, findet und liefert rare Rohstoffe. Zum Beispiel das Greiskraut Senecio riddellii, das ein Cfm-Scout in New Mexico in größeren Mengen ausfindig macht. Geht im November eine dringende Anfrage für Iris germanica ein, reisen Cfm-Mitarbeiter dorthin, wo noch einige dieser Schwertlilien geerntet werden können, und liefern sie direkt vom Feld zum Besteller. Landwirte, Sammler und spezialisierte Großhändler sind für Cfm wertvolle Ansprechpartner.
Sourcing definiert Cfm nicht als reine Beschaffung von Substanzen. Ziel ist, Kunden von der frühesten Forschung bis zur Markteinführung eines Produkts zu begleiten, oft über zehn bis fünfzehn Jahre. Und mit dem Risiko, dass zum Beispiel ein Arzneimittel während der klinischen Phase durchfällt, wie 80 Prozent aller pharmazeutischen Entwicklungen. „Wir stellen uns immer die Frage, was der Kunde wirklich braucht, nicht, was wir gerade bieten können. Ebenso wichtig ist der Dialog mit unseren Lieferanten. Wenn statt eines Mikrogramms Geldanamycin 5.000 Gramm benötigt werden, erfordert das Vorbereitung, vielleicht auch Investitionen.
Manchmal geht es um Tonnenmengen. Wir möchten, dass unsere Lieferanten mit ihren Produkten wachsen, also unterstützen und qualifizieren wir sie, wir überprüfen sie aber auch kritisch. Die Pharmabranche muss alle originären Hersteller kennen und die komplette Lieferkette nachvollziehen können. Das funktioniert nur, wenn alle Partner vertrauensvoll zusammenarbeiten.“ Nahrungsergänzungsmittel und „Kosmetikamente“ (Cosmeceuticals) unterliegen der gesetzlichen Nachweispflicht für Lebens-mittel bzw. Medikamente. Voraussetzung für den Nachweis ihrer Wirkung ist die vollständige Dokumentation der Inhaltsstoffe. „Exakte Analysen sind für unsere Kunden oft schwierig, weil meist nur geringe Mengen gehandelt werden, keine Tanklastzüge. Wir haben Partner, die die nötigen Daten zur Verfügung stellen können.“ Als eines der ersten Unternehmen Nordbayerns erfüllt Cfm die Qualitätsstandards des EU-Zertifikats für Good Distribution Practice (GDP). Welche Herausforderungen Cfm als Spezialdienstleister meistert, zeigt das Beispiel Alpha-Amanitin, das Gift des Knollenblätterpilzes. Es wird als Bestandteil von Antikörper- Wirkstoff-Konjugaten eingesetzt. Steffen Tropitzsch: „Man kann Antikörper mit einem hochpotenten Gift bewaffnen und zum Beispiel direkt in eine Krebszelle bringen, wo ein Enzym das Bindungsstück zwischen dem Antikörper und dem Gift abspaltet. Das Gift wird wirksam und tötet die Krebszelle ab.“ Nach einer ersten Anfrage macht sich Cfm 2015 auf die Suche nach ein paar Milligramm Alpha-Amanitin und findet in Polen ein Institut, das das Gift extrahieren kann. Gute Ware, von der der Kunde bald mehr braucht. Und gute Ware hat ihren Preis: Für ein Gramm Alpha-Amanitin werden 90.000 Euro aufgerufen. Ein Gramm ist die Ausbeute von circa 25 Kilogramm Pilzmaterial. „Der Bedarf unseres Kunden ging schon Richtung 50 Gramm. Also wollten wir herausfinden, ob man den Pilz anbauen kann, er wächst aber nur wild, nur in bestimmten Gebieten und die Vegetation ist unkalkulierbar.“ Weil Alpha-Amanitin so teuer ist, können nur sehr renommierte Institute an der Substanz forschen. Tropitzsch ist unzufrieden, klopft sein Netzwerk ab. Er weiß, dass man andere hochpotente Gifte per Fermentation in größeren Mengen hergestellt hat. Schließlich gewinnt er einen Partner, dem dieses Verfahren mit Alpha-Amanitin gelingt. „Die größere verfügbare Menge drückte den Preis und wir konnten Alpha-Amanitin mehr Forschern zugänglich machen. Die intensivere Forschung hat wiederum die Nachfrage angekurbelt.“ Seit 2014 firmiert Cfm Oskar Tropitzsch als GmbH und hat mit Steffen Tropitzsch einen Co-Geschäftsführer. „2005 war mein Vater 60 und ich wollte nach meinem BWL-Studium Verantwortung für die Mitarbeiter übernehmen. Ich habe mich für den direkten Start in unserem Unternehmen entschieden und mein Vater hat mir gleich die Finanzhoheit übertragen. Ich habe ihm gesagt, er muss unabhängig von der familiären Bindung entscheiden, ob ich der Richtige für seine Nachfolge bin.“ Zum Cfm-Team gehören Fachleute für die Lagerung toxischer Substanzen und für deren Transport, für Zoll, Pharmarecht, Umsatzsteuer, Aus- und Einfuhrbestimmungen, Handelsbeschränkungen. Cfm beschäftigt promovierte Biologen und Biochemiker, Chemieingenieure, Pharmazeutisch- technische und Chemisch-technische Assistenten. Für die weltweite Auslieferung des Gefahrguts Gift gibt’s 2016 den Exportpreis Bayern – den ersten für ein oberfränkisches Unternehmen. In 231 Jahren haben sich wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen verändert, haben sich Chemie und Technologien entwickelt. Konstanten sind es, auf denen die Philosophie der Cfm Oskar Tropitzsch GmbH beruht: Neugierde, Vertrauen, Partnerschaft, Mut.
Wir handeln auch mit ganz normalen Sachen wie Pflanzen oder Wurzeln.
Ein Gramm ist die Ausbeute von circa 25 Kilogramm Pilzmaterial. „Der Bedarf unseres Kunden ging schon Richtung 50 Gramm. Also wollten wir herausfinden, ob man den Pilz anbauen kann, er wächst aber nur wild, nur in bestimmten Gebieten und die Vegetation ist unkalkulierbar.“ Weil Alpha-Amanitin so teuer ist, können nur sehr renommierte Institute an der Substanz forschen. Tropitzsch ist unzufrieden, klopft sein Netzwerk ab. Er weiß, dass man andere hochpotente Gifte per Fermentation in größeren Mengen hergestellt hat. Schließlich gewinnt er einen Partner, dem dieses Verfahren mit Alpha-Amanitin gelingt. „Die größere verfügbare Menge drückte den Preis und wir konnten Alpha-Amanitin mehr Forschern zugänglich machen. Die intensivere Forschung hat wiederum die Nachfrage angekurbelt.“ Seit 2014 firmiert Cfm Oskar Tropitzsch als GmbH und hat mit Steffen Tropitzsch einen Co-Geschäftsführer. „2005 war mein Vater 60 und ich wollte nach meinem BWL-Studium Verantwortung für die Mitarbeiter übernehmen. Ich habe mich für den direkten Start in unserem Unternehmen entschieden und mein Vater hat mir gleich die Finanzhoheit übertragen. Ich habe ihm gesagt, er muss unabhängig von der familiären Bindung entscheiden, ob ich der Richtige für seine Nachfolge bin.“ Zum Cfm-Team gehören Fachleute für die Lagerung toxischer Substanzen und für deren Transport, für Zoll, Pharmarecht, Umsatzsteuer, Aus- und Einfuhrbestimmungen, Handelsbeschränkungen. Cfm beschäftigt promovierte Biologen und Biochemiker, Chemieingenieure, Pharmazeutisch- technische und Chemisch-technische Assistenten. Für die weltweite Auslieferung des Gefahrguts Gift gibt’s 2016 den Exportpreis Bayern – den ersten für ein oberfränkisches Unternehmen. In 231 Jahren haben sich wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen verändert, haben sich Chemie und Technologien entwickelt. Konstanten sind es, auf denen die Philosophie der Cfm Oskar Tropitzsch GmbH beruht: Neugierde, Vertrauen, Partnerschaft, Mut.